Die Feder des goldenen Glücks (Teil II)

…Fortsetzung von: Die Feder des goldenen Glücks (Teil I)

Der Hügel erschauderte, als ihn plötzlich der Blick der jungen Frau durchdrang. Sie schaute ihn an, als ob sie bis tief in den Grund seiner Seele blicken konnte. Er fühlte sich seltsam berührt, so dass seine grünenden Weiden anfingen, sich zu bewegen und mit dem Wind des Südens zu tanzen. „Komisch ist das“, dachte sich der Hügel. „Was ist nur los mit mir? Meine alte, geschundene Haut scheint zu neuem Leben zu erwachen und aufzublühen wie der Gott der Natur selbst.“ ~ Der Hügel beobachtete, was da mit ihm geschah, während er gleichzeitig in die sanften Augen der jungen Frau blickte, die nun wie gebannt auf ihn fixiert waren. Wohl war ihm nicht dabei, so eindringlich angeschaut zu werden ~ durch und durch. Zentimeter um Zentimeter fühlte er, wie die sanften Blicke seine grünende Haut streiften, liebkosten und sich am Wunder der Natur erfreuten. Langsam, so spürte er, gefiel es ihm, wie die sanften Blicke der Frau ihn berührten und eine ganz neue Lebendigkeit in ihm zu erwecken schienen. Er konnte sich plötzlich viel mehr spüren, als je zuvor, seine grünende Haut, die in sanfter Bewegung gen Süden strebte, um die goldene Sonne des Herzens zu kosten. Sich an ihrer Anmut zu erfreuen und die letzten Strahlen der Glückseligkeit in sich aufzunehmen. Ja ~ genau davon hatte ihm sein Urgrosshügel einst erzählt. Über dieses Naturschauspiel sondergleichen, was sich äusserst selten ereignet. Und jetzt traf es ihn, den stolzen Hügel. Wer hätte das gedacht. Er liebte das neu aufkeimende Lebensgefühl in sich und alle, die auf und in ihm wohnten, ~ Blumen, Gräser, Pflanzen, Bäume, Vögel, Mäuse, Maulwürfe, Ungetier,  ~ ja alle konnten es fühlen, wie der Hügel zu neuem Leben erwachte und freuten sich mit ihm.

Die junge Frau nahm ihren Blick zurück von dem lieblich geschwungenen Hügel, der sich vor ihr ausbreitete und ihr offenbar den Hof zu machen schien. Sie schmiegte sich an den jungen Mann und fühlte seinen Atem auf ihrer hellen Haut, der sie sanft umhüllte und in ihr eine grosse Sehnsucht wach rief. Eine Sehnsucht nach dem grossen Ganzen, dem Ursprung all dessen, was da lebt und das Gewebe des Lebens webt. Ungeduldig war sie, wenn sie daran dachte, das Geheimnis des Lebens wohl niemals ganz erfassen zu können. Hier in ihrem Dasein als menschliches Wesen mit einem trägen Körper. Das machte sie traurig. Tränen der Sehnsucht entschwanden ihren Augen und glitzerten in ihrem sonnenbeschienen Gesicht.

Eben noch hielt er die junge Frau genügsam in seinen Armen geborgen und küsste die zarten Wangen der Geliebten, die nun jäh von einem nassen Strom des Unbehagens überschwemmt wurden. Was war nur geschehen? Sie schien sonderbar abwesend und doch irgendwie anwesend zu sein. Er konnte sich nicht erklären, was los war. Hatte er etwas Falsches gesagt, getan oder nicht getan? Er wusste es nicht. Diese Frau war ihm ein komplettes Rätsel.  Liebte er sie deshalb so sehr? Er hielt es kaum aus, wenn er bemerkte,  dass etwas in ihr vor sich ging, was er nicht verstand. Auch wenn er wusste, dass er es nicht verstehen konnte, denn sie war ein Wesen von einem anderen Stern. Einem Stern, der ihm fremd und doch irgendwie vertraut war. Und er liebte diesen Stern. Wollte ihn ergründen, erkunden, entdecken und begreifen, was ihn ausmachte. Daher war er fasziniert von der jungen Frau, die ihn so sehr berührte und eine Erinnerung in ihm wach rief, die er nicht in Worte zu fassen vermochte. Trotzdem versuchte er es, fasste sich ein Herz und fragte: „Geliebtes, wo bist Du? ~ Ich fühle, Du bist hier und doch anderswo. Ich möchte so gern bei Dir sein Geliebtes. Nimmst Du mich mit auf Deine Reise? ~ Wo immer sie uns auch hinführen mag. Ich bin bei Dir. Du bist nicht allein.“

Plötzlich, wie aus fernen Welten hörte die junge Frau einen sonderbaren Gesang, der sich ihr zuneigte, sie umwirbelte und behutsam an die Hand nahm. Es war soweit. Der Moment, den sie so sehr ersehnte, schien seinen Anfang im Hier und Jetzt zu finden. Sie wurde ganz aufgeregt und begann, sich auszumalen, was nun geschehen würde. Niemals zuvor schien sie dem Wesentlichen so nah gewesen zu sein. Niemals zuvor war sie sich so sicher wie jetzt, das Rätsel des Lebens endlich zu lösen und Frieden in sich zu finden. Die Vorfreude auf die ersehnte Reise besiegte in ihr den uralten Zweifel, der sich zwar noch bemühte, sie in den tiefsten schwarzen Abgrund zu werfen. Doch es gelang ihm diesmal nicht, denn die Sehnsucht war grösser und stärker als alles andere. So gab sie sich hin und lauschte weiter, tiefer, umfassender und intensiver  und nahm war, wie sich plötzlich der Schleier der Verborgenheit lüftete. Und ihr gingen Augen und Herz auf, bei dem Anblick, der sich ihr nun bot.

…Fortsetzung: Die Feder des goldenen Glücks (Teil III)

© 2016 Text & Bild by Birgitta Borghoff. brückenwege.ch. All rights reserved.

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