Die Feder des goldenen Glücks (Teil III)

… Fortsetzung von: Die Feder des goldenen Glücks (Teil II) und …

…Die Feder des goldenen Glücks (Teil I)

So geschah es, dass der Horizont zunehmend zu verblassen schien und sich ein goldener Dunst vor ihrem Auge auftat, der gefüllt mit irisierendem Leben und durchlässig zugleich war. Eine Art goldener Regen fiel vom Himmel herab und breitete sich aus über Felder, Wiesen, Blumen. Ja selbst der aufsässige Hügel, den sie so mochte, schien von diesem zauberhaften Himmelsreigen ergriffen zu sein. So dass er sich aus der Tiefe seines Seins erhob und sich dem Himmel entgegenstreckte, wie ein Vogel, der zum ersten Mal das Fliegen übt.

Seltsam berührt von diesem erhellenden Naturschauspiel beobachtete die junge Frau, was da vor sich ging und konnte kaum fassen, was ihre Augen zu sehen glaubten. Träumte sie oder passierte das alles wirklich? ~ Nun, es musste fast wirklich sein, denn der junge Mann, mit dem sie am Ufer des Rio Grande sass, war ihr offenbar gefolgt und hielt ihre Hand. „Siehst Du das auch, Geliebter? Diesen goldenen Regen?“, fragte sie sich im Stillen. ~ Der junge Mann, der ebenso erstaunt wie verblüfft gen Himmel blickte, war so versunken in die Anmut des sich offenbarenden Himmelsreigens,  dass er kaum wahrnahm, wie eine leise feine Stimme sein Ohr in Beschlag zu nehmen schien, um ihm etwas mitzuteilen. Er schloss die Augen, um besser hören zu können, was die leise Stimme ihm zuflüstern wollte:

    „Himmelsreigen ~
    Dich verneigen
    sollst Du froher Herr,
    um zu sehen, weitaus mehr
    als Dein Aug‘ zu seh’n vermag,
    gestern und an diesem Tag.
    Leuchte in die Welt hinein,
    mein froher Herr, Du bist so fein.
    Zeig‘ Dich ihr doch ganz und gar,
    wie Du bist und immer warst.
    Sehen will sie Dich in echt,
    dann erst wirst Du ihr gerecht.
    Denn sie ist die goldn’e Feder,
    die Du suchtest holder Wegherr
    überall ~ doch in der Welt.
    Hier sie nun vom Himmel fällt,
    sanft, lebendig, voller Freude
    keine Zeit mein Lieber mehr vergeude.
    Nimm‘ sie hier an Deine Hand,
    denn das ist ein Himmelsband,
    das euch beide hier verbindet
    bis das einst die Zukunft schwindet
    und ihr wieder seid vereint
    als König, Königin im Herzensreich.“

Huch ~ was waren das für rätselhafte Worte, die sein Ohr da zu vernehmen wusste? Der junge Mann war plötzlich ganz verlegen, hielt er doch die Hand seiner Geliebten und war sich dessen gar nicht bewusst. Er drückte ihre Hand, öffnete seine Augen und sah‘ sie von der Seite an. Ihr Blick war noch immer gen Süden gerichtet, wo sich der goldene Schleier der Sehnsucht über die Liebenden erhob. Sie schien sich an diesem Anblick zu weiden bis sich plötzlich ihr Kopf zu ihm drehte und sie ihn mit einem Blick anschaute, als würde sie ihn zum ersten Mal wirklich sehen. ~ „Du siehst ihn auch Geliebter, nicht wahr?“, fragte sie ihn wortlos. „Du bist hier bei mir an meiner Seite und siehst, was ich sehe. Fühlst, was ich fühle, hörst, was ich höre. Es bedarf keiner Worte mehr zwischen uns, denn der Reigen hat den Schleier gelüftet, der uns einst trennte. Wir sind eins ~ eine Feder, die leicht und frei durchs Leben fliesst. Sich niederlässt an fremden Orten, um Neues zu lernen. Eine Feder, die vom Wind sich tragen lässt ohne Ziel und Richtung. Im steten Vertrauen darauf, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort anzukommen. ~ Ich fühle es Geliebter, wir sind nun eins. Und nichts mehr kann uns trennen.“ Und sie lächelte.

Der junge Mann erwiderte den Blick der jungen Frau und nahm ihn ganz und gar in sich auf. Er hörte alles, fühlte alles, nahm alles war, was auch sie wahrnahm. Und seine Angst vor ihr, vor ihrer unendlichen Tiefe und Weite war plötzlich wie vom Winde verweht. Er wusste nun. Wusste, was sie miteinander verband, wenngleich sie von einem anderen Stern kam, dessen Seinsqualität er nun in sich fühlen konnte. Und er wusste, dass auch sie ihn erkannt hatte, seine Herkunft, seine Artigkeit, sein Wesen. Und das berührte ihn ungemein. Es nahm ihm den Verstand, an den er sich so sehr geklammert hatte, um nicht dem Wahnsinn zu erliegen. Um den Überblick zu behalten. Um sich nicht preisgeben zu müssen. Um seinen Mann zu stehen, so wie er eben glaubte, wie ein Mann sein und sich verhalten müsse in dieser Welt. Nun hatte er verstanden, dass sein bisheriges Leben eine vollkommene Illusion war, ein Irrtum, dem er aufgesessen war, weil er den zarten Schleier der Verborgenheit nicht wahrgenommen hatte. Den Schleier, der ihn in Wahrheit von seiner Liebsten trennte. Ja ~ sie ist die goldene Feder, nach der er ein Leben lang gesucht hatte, ohne zu wissen, dass er überhaupt suchte. Und ohne zu fühlen, dass er sich überhaupt sehnte. „Wahrlich ~ sie ist die Feder des goldenen Glücks, die mich  rief und die ich gerufen haben, ohne zu wissen. ~ Und wir sind eins.“ , hörte er sich denken. Und das Herz des jungen Mannes hüpfte vor Freude, als er seine Liebste zärtlich in seine Arme schloss und sie zusammen gen Süden blickten, um das Wunder der wahren Geborgenheit zu schauen, zu bestaunen und in ihren Herzen zu integrieren.

Als der Hügel spürte, wie sich die zwei Liebenden ihm zuneigten und im goldenen Reigen glückselig auf ihm tanzten, war seine Freude grenzenlos. Er, ja er war dabei bei diesem Naturschauspiel sondergleichen. Ein Phänomen, das nur jenen widerfuhr, so begriff er erst jetzt, die sich dem Wunder der Liebe wahrhaft öffnen. Die den Mut haben, alle Ängste, Zweifel und Sorgen hinter sich zu lassen und sich hinein begeben in das wahrhaftige Leben, in das Jetzt und Hier. Der Hügel schmunzelte still vor sich hin, während die Liebenden seine goldene Haut streichelten und sich an seinem Dasein labten. Und er spürte, wie sein Urgrosshügel lächelte.  Denn die Feder des goldenen Glücks war keine Geschichte, keine Mär, die Feder des goldenen Glücks, das waren er und viele viele viele andere Wesen mehr.

The END.

© 2016 Text & Bild by Birgitta Borghoff. brückenwege.ch. All rights reserved.

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