Spiegelbegegnung

So riefst Du mich und ich Dich. Und sie spiegelte uns in ihrem Sein. Vernetzte Welten des Gleichklangs im grossen Ganzen. Und sie lächelte, weil sie die Sonne aufgehen sah in beiden zugleich. In ihm, der einem kleinen Jungen gleich, unbeugsam und brav zugleich seine Pflicht tat und dabei dem reinen Chaos entfloh. Und in ihr, die sie sofort in ihrem Herzen fühlte, als er sie ansah und lächelte. Wissend, dass sie wusste um das Geheimnis seiner und ihrer Verbundenheit. So ward sie Botschafterin und Zeugin in einem Moment besonderer Nähe, der sie miteinander verband. Sie verstand sofort, um was es ging: Die Wahrheit zu offenbaren. Nicht mehr zu verstecken, dass sie wusste, sondern zu zeigen, was sie sah. Und er fühlte sich ertappt, leicht irritiert aber wohl wissend, um was es ging. Und er strahlte sie an, wie ein ganzer Mann, wenngleich die Rolle, die er spielte, ihm nicht gefiel. Aber er beherrschte sie und spielte sie sehr gekonnt. Als kleiner Junge, der einmal mehr seinen  Mann  stand und tat, was er tun musste, wie er es so oft tat. Ob es ihm gefiel oder nicht. Es gehörte dazu, zum Spiel des Lebens. Als er sie anblickte und ihr Lächeln in sich aufnahm, fühlte er sich getragen vom ruhigen Wind der Zärtlichkeit. Und er wusste, dass alles wahr war, was er schon lange in seiner Seele spürte. Und er war leicht verlegen, weil sie ihn ohne Zweifel durchschaute und seine Scham erkannte. Ein merkwürdiges Gefühl, das ihm da so unverhofft zufiel. Doch ihr Lächeln hielt ihn geborgen im tiefen Vertrauen, dass sie ihn und sie nicht verriet. Dass sie das wunderbare Geheimnis nicht preisgab sondern in sich wahrte, wie einen kostenbaren Diamant, den zu schleifen noch nicht die Zeit gekommen war. Er war gerührt von ihrer sanften Anmut, Grösse und Schönheit. Sie, die den Raum für sie beide hielt: Ihn und die Liebe seines Herzens. In diesem einen Moment. Es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit, bis das eigentliche Ereignis ein abruptes Ende fand und er wieder ging. In seinem Rücken spürte er den Blick seiner Geliebten, die ihm durch sie nachsah und ihm zärtlich übers Haar streichelte. Er lächelte und wusste, dass sie beide auf dem Weg waren, um sich einst wiederzufinden in naher Zukunft. So verabschiedete sie ihn durch sie. Der Spiegel hatte seinen Sinn und Zweck erfüllt und entfloh in lichtere Höhen.

© 2017 Text by Birgitta Borghoff (17. April 2017). brückenwege.ch. All rights reserved.

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