Es ward ein güldner Morgen. Schön wie Buttercreme und Tau aus Perlen. Der tauende Schnee fiel von ihrem Gesicht, welches sanft lächelte, als ob nichts geschehen ist. Sie blinzelte durch das anwachsende Moos auf der anderen Seite ihrer Herrlichkeit. Ihr Halstuch trocknete an der Sonne und vergilbte leicht. Ein Hoffnungsschimmer lag über dem kühlenden Himmel und flutete ihnen in die Adern. Sie setzten sich auf und blickten sich an. Einen ewigen Moment lang. Ihr Blick war still und tief und erstürmte sein Herz im Nu. Einmal mehr. Er war ungeteilt in der Unfassbarkeit dieser erhabenen Würde. Wie konnte es sein, dass dieses feine, zierliche Wesen in seinen Armen, eine solche königliche Anmut in ihm wachrief, die ihn jedes Mal zutiefst verwirrte. Wie konnte es sein, dass es ihn so schüttelte und stürmte, ob dieser Gewissheit einer unendlichen Vielfalt seiner Art. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Sie brachte Saiten in ihm zum Schwingen, die er nie zuvor gekannt, gefühlt, erahnt hatte. Saiten, die sein Leben für immer verändern sollten, ob er das wollte oder nicht. Er schaute sie an, einmal mehr. Mit einer Liebe in seinen Augen, die niemand jemals sah. Ein Wunder der Schöpfung, was ihm widerfahren ist. So nannte er es zumindest, um es irgendwie für sich einordnen zu können. Und das musste er. Schliesslich war er ein Mann und hielt es für absolut wichtig, der Herr seiner Sinne, seiner Welt mit all ihren Begebenheiten zu bleiben.
Sie erhob ihr schöngeistiges Haupt und blickte mit dem Wind an das südliche Ufer des vorbeihüpfenden Stroms. Der Blick gen Süden hatte sie schon immer fasziniert, half er ihr doch, sich der unmittelbaren Wirklichkeit nahezu zu entheben. Warum wollte sie das? War es ihr peinlich, in ihrem ganzen Sein gesehen und darin begehrt zu werden? Sie wusste es nicht, kannte sie dieses Gefühl doch vorher nicht. Sie versuchte abseits vom Jetzt all das zu ergründen, was sie doch zunehmend mehr mit Angst erfüllte. Angst vor der nagenden Nähe der ersehnten Herrlichkeit. Sie bewegte sich leicht, wiegte ihren zarten Körper sanft im Wind. Das half ihr, bei sich selbst zu bleiben, sich nicht zu verlieren im draussen, in der Begegnung, im öffentlichen Dialog. Ja, das war ihr Leben. So war sie nun mal. Ob die Welt um sie herum es interessierte oder nicht. Das war einfach sie. In ihrer reinsten Form. Ihrer Würde, ihrem Sanftmut und unbändigem Stolz, hier sein zu dürfen.
Zwei winzige Fohlen stahlen sich heran, weideten auf dem hellgrünen Teppichreigen eines sich erhebenden Hügels, der sich sanft hervorschob zwischen den Wäldern, um die zwei Glückseligen interessiert zu bestaunen. Wie konnte es sein, dass hier am ebenen Ufer des Rio Grande ein solcher Zwischenfall sich ereignet, der die ganze Gemeinschaft der Naturhaften in Aufruhr bringt?
Er wusste es nicht, konnte es sich nicht erklären, wie die zwei den Weg hierhin fanden, einen Ort, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Ein Ort, zu dem keine Wege führen. Dass menschliche Natur sich hier niederliess und sich den Raum nahm, der ihrer nicht bedurfte. Seltsam war das. Sehr seltsam. Er überlegte und dachte nach, was ihm sein Urgrosshügel einst über Phänomene wie diese berichtet hatte. Phänomene, die es eigentlich nicht gab, doch die sich immer wieder zeigten. Er versuchte, sich zu erinnern, wovor ihn der Urgrosshügel immer gewarnt hatte, gesetz den Fall, er würde eines solchen Phänomens, was es eigentlich nicht gibt, jemals teilhaftig werden. Und jetzt war es soweit. Er erlebte es hautnah, wie er es sich niemals hätte träumen lassen.
Und er freute sich, er freute sich wirklich, trotz der eindringlichen Warnungen, jetzt dieses Naturwunders tatsächlich noch gewahr zu werden. Nach all den Jahren. Ein echtes Schauspiel sondergleichen. Er weidete seine Augen an dem reinen Sein der jungen Frau, die jetzt einer Elfe gleich gen Süden blickte. Er rätselte, was ihr Blick ihm mitteilen sollte. Welche Botschaft aus einer fernen Welt ward ihm zugedacht? Ausgerechnet heute, wo er an seinen Urgrosshügel dachte?
… Fortsetzung: Die Feder des Goldenen Glücks (Teil II)
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