Wenn Sein und Wollen miteinander verschmelzen

Vieles ist gesagt und getan. Vieles umgesetzt und auf die Beine gestellt. Einstmalige Ideen haben in die Form gefunden, durften sich entfalten, wachsen, gedeihen und vergehen. Inkarnation von Ideen und Exkarnation von Formen. Ein beinahe tägliches Wechselspiel von Information. Das heisst ein „in“ die „Form“ bringen von etwas, was vorher formlos, noch ungedacht und wenn man so will ungewollt, vielleicht auch unerwünscht war. Ein „Un-Ding“ sozusagen. Ein Ding, das noch im „Un“ (frz. für „ein“), das heisst im ewigen „Ein“ verborgen war und im Schlafe träumte. Möglicherweise davon, endlich ein Ding zu werden. Zu etwas Dinghaftem heranzureifen, was man anfassen und be-greif-en kann. Feste Materie also, geboren aus der Form-losigkeit allen Seins.

Doch wer oder was anim-ierte das Un-Ding einstmals im schlafenden Traume? Wie wurde es in-spiri(t)-iert? Das heisst mit Anima und Animus, mit Seele und Geist er-füllt? Wer oder was be-frucht-ete dieses Un-Ding, das als form-loses „Ein“-Sein sein Dasein fristete. Unwissend über die unzähligen Möglichkeiten, in die Form zu fallen. Unbewusst über das Ausmass seiner wahren Potenzialitäten, sich selbst zu in-form-ieren. War das Un-Ding, d.h. das „Ein-Sein“ sein oder einfacher gesagt das „Einssein“ unwollend, das heisst nicht wollend bzw. passiv willenlos? Oder war es trotz seiner ihm innewohnenden puren Potenzialität ganz einfach ungewollt von etwas „anderem“? Hat es so vielleicht einen möglichen eigenen aktiven Willen verloren? Falls ja, wer oder was ist dann dieses „Andere“, das dem „Einssein“ den Willen nahm, sich in Form zu bringen, zu inkarnieren und das auszudrücken, wozu es tatsächlich berufen war?

Dieses Andere, getarnt als das wohl eher „Fremde – könnte doch die wahre Schönheit des „Einssein“ aus der Ferne und Fremde heraus bestaunt haben. So dass es möglicherweise magisch angezogen wurde durch die Strahlkraft der mannigfaltigen Möglichkeiten, die ihm das „Einssein“ spiegelte. Vielleicht konnte es gar nicht anders, als diesem seinen eigenen Willen zu demonstrieren, es davon zu überzeugen oder ihm gar aufzuzwingen? Letzteres, falls das „Einssein“ sich geweigert hätte, sich mit dem Willen und Wissen des Anderen, Fremden ungewollt zu in-form-ieren und damit unfrei-willig zur Form zu mutieren. Das heisst, sich zu exkarnieren, in eine Uni-Form zu zwängen und sich in dieser Beschränkung nun quasi willenlos, wenngleich durchaus gewollt, zu erfahren, zu entfalten und zu gedeihen. Und zwar ganz ohne Eigenwillen. Doch wie soll das gehen? Willenlos in-form-iert sein und doch „eins sein“?

Das zur Form gereifte und gewollte Ding weilte nun also in der Welt der Formen und Farben, der Welt der Wissen-wollenden, in der sogenannten Wissensgesellschaft. Und wusste doch gar nichts ausser jener In-form-ation, die an seiner Form klebte, sprich hängenblieb. Doch diese interessierte das Ding wahrlich nicht, vernebelte diese In-form-ation doch mehr und mehr sein wahres „Einssein“. Denn diese konnte das geformte Ding kaum mehr er-leben und wahr-nehmen. Stattdessen fühlte es die schwere Last des fremden Wissens und Willens, das ihm überdies auch noch ein schlechtes Ge-wissen bescherte. All das Fremde schien an ihm zu kleben wie ein kleines Kind, dass sich verängstigt an seine Mutter klammert, wenn ihm jemand Böses will. Ebenso ekelte sich das Ding vor dem Willen, den ihm das Andere, Fremde zuweilen sehr heftig aufzwang und dadurch sein Uni-Form so stark zuschnürte, dass es nicht mehr wagte zu atmen, vielmehr noch kaum mehr atmen konnte.

In einem Moment erdrückenster Schwere fühlte das „Einssein“ plötzlich ein neues starkes Gefühl in sich aufsteigen. Eine tiefe Traurigkeit und stille Trauer überwältigte es, als es sich für einen Augenblick nur, er-inner-te an längst vergangene Zeiten in der Un-zeit, das heisst seiner wahren Heimat: Der Ewigkeit. Dann begann es, sich zu sehnen. Aus tiefstem Herzen und mit aller Kraft, die es in sich aufbringen konnte. Es wollte einfach vergehen. Der Form ent-gehen, exkarnieren, zurückgehen in seine Heimat. Und so wurde der Wille in ihm (neu) geboren: Der Wille zu sterben! Dieser Wille reifte Tag für Tag weiter im ver-ding-ten „Einssein“ voran und wurde irgendwann so stark und gross, dass es glaubte, es nicht mehr aushalten zu können. Die Sehnsucht, zu sterben, trieb es fast in den Wahnsinn. Es begann zu halluzinieren, zu träumen und sich vorzustellen, wie es wohl sein möge, wenn es wieder in der Ewigkeit ruhen würde.

Als das Andere, Fremde entdeckte, dass das „Einssein“ sich Tag für Tag mehr von ihm entfernte; dass es seine In-form-ationen und sein Wissen nicht mehr aufnahm; dass es das von ihm Gewollte nicht mehr anim-ieren und in-spiri(t)-ieren konnte, wurde es traurig und weinte viele Tage lang. Es konnte nicht begreifen, warum das „Einssein“ nichts mehr von ihm „wissen wollte“. Es fühlte sich leer und ungewollt. Und sehr allein. Es sehnte sich nach Einssein mit dem „Einssein“. Es tat alles und sehr viel, um das „Einssein“ unter Einsatz allen Willens, Wissens und Überzeugungskraft wieder zurückzugewinnen. Doch es nützte nichts. Das „Einssein“ verstummte und sagte nichts mehr. Es ent-sagte vielmehr aller Form, so dass das Andere, Fremde Angst bekam, dass es bald sterben würde. Und es weinte bitterlich.

Die warmen Tränen aber flossen dem „Einssein“ tief ins Herz. Es empfand tiefes Mitgefühl für das Andere, Fremde, wie es mit gebrochenem Willen so dalag. Beraubt seiner ganzen Kraft, seines Willens und Wissens. Und das „Einssein“ streichelte den Kopf des Anderen, Fremden und schaute es liebevoll an. Das Andere, Fremde spürte plötzlich, wie es von einer sprühenden Feuersglut durchflutet wurde. Die Wärme tat ihm sichtlich gut. Es blickte auf zum ver-ding-ten „Einssein“ und sah zum ersten Mal die Schönheit in dessen Augen. Und es war tief berührt ob der sanften Anmut seines einstmals so sehr gewollten „Einsseins“. Und ihm wurde plötzlich klar, warum er es so sehr liebte und besitzen wollte. Wegen seiner Fähigkeit, trotz aller Widerstände immer mit sich eins zu sein und zu bleiben. Und sein Wille schmolz dahin und wurde eins mit dem „Einssein“. Mit ihm auch der einstmalige Ekel des „Einsseins“ vor dem befremdlichen Willen und Wissen des Anderen, Fremden. Just in dem Moment, als es fühlte, dass das Andere, Fremde und das Eigene in Wahrheit eins sind. So erkannten beide einander und weilen seither im uner-schöpf-lichen „Einssein“. Berufen dazu, willenlos „eins“ zu „sein“ und willentlich zu wirken, wenn der Zeitpunkt der formgebenden Manifestation sowohl stimmig als auch angemessen ist. All das im stetigen Wechselspiel von Werden und Vergehen, von  Idee und Form, von Neugeburt und Sterben, von Traum und Wirklichkeit, von Alpha und Omega. Immer eingebunden in den zeitlosen Ablauf von Inkarnation und Exkarnation. Willenlos und willentlich, ungewollt und gewollt. Mal freiwillig, dann wieder unfreiwillig. Manchmal mutwillig, ein anderes Mal widerwillig. Zuweilen auch arg- bis böswillig. Letztlich aber immer wieder einwilligend, weil gut- und lehrwillig. Das heisst gottwillig in der zeitfreien Ewigkeit des Seins.

(Text: Birgitta Borghoff, empfangen am 16. und 17. September 2018)

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