New Work – Die Zukunft ist jetzt

Die Corona-Krise hat hinsichtlich New Work und Leadership einiges aufgezeigt. Als «New Workerin» mit mehreren Standbeinen habe ich drei Thesen für einen zentralen Transformationsbeschleuniger der Gegenwart entwickelt.

Anmerkung: Diesen Thesenbeitrag habe ich für das Hochschulmagazin Impact der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften verfasst. Der Orginalartikel erschien am 1. Juli 2020 in der Ausgabe 06/2020 mit dem Dossier «Realitäten» (S. 48-49). Zur Online-Ausgabe gehts hier.

Was wäre, wenn jeder Mensch das machen würde, was er leidenschaftlich will und wozu er sich berufen fühlt? Wo die Schaffensfreude der Motivation des Herzens entspringt anstatt dem Zwang zum nächsten Karriereschritt? Die Antwort bildet den Kern der Idee der «neuen Arbeit». Diese geht zurück auf den österreichisch-US-amerikanischen Philosophen und Begründer der «New Work»-Bewegung Professor Frithjof Bergmann. Bergmann beschäftigte sich eingehend mit der philosophischen Frage nach der Freiheit des Menschen. Dabei stellte er fest, dass nichts den Menschen unfreier zu machen scheint als die Arbeit. Angesichts zunehmender Automatisierungsprozesse und digitaler Transformation stellt sich die drängende Frage, was wir tun wollen, wenn der eigene Job durch neue Technologien ersetzt wird. Oder wenn uns «Madame Corona» unverhofft das regelmässige Einkommen und damit einen Teil unserer Lebensgrundlage entzieht.

1. Die Corona-Krise gestaltet eine New-Work-Praxis, die flexibel, digita(gi)l-vernetzend und unternehmerisch (re)agiert.

Was tun wir ganz konkret? Das Coronavirus zwingt uns zu Kurz- oder unbezahlter Mehrarbeit, Job-Sharing, Zwangsferien oder Jobverlust. Dadurch entstehen wirtschaftliche Verluste, aber auch neue Möglichkeiten des digitalen Arbeitens, Zusammenlebens und Lernens. Zentrale Fähigkeiten wie Selbstorganisation und Selbstdisziplin, der flexible Umgang mit Unsicherheit, dem Unerwarteten und mit Komplexität trainieren uns sowohl in Sachen Agilität als auch Resilienz. Aber auch in Digital Literacy und Plattformökonomie: Das ist der souveräne Umgang mit den Anforderungen digital vernetzter Kommunikation auf unterschiedlichen Online-Plattformen. Spontanes extrinsisch motiviertes Aneignen digitaler Kompetenzen, die Fähigkeit der raschen Anpassung an neue Situationen und schnelle Reaktionsgeschwindigkeiten bezüglich der Erfordernisse der aktuellen Zeit sind unentbehrliche digita(gi)le Qualitäten einer lebendigen New-Work-Praxis. Flexicurity heisst das Gebot der Stunde, das für eine dynamische Balance zwischen sozialer Sicherheit und Flexibilität der Arbeit sorgen soll. Zudem sind multiple Potenzialentfaltung und unternehmerisches Mitgestalten höchst gefragt. Mitgestalten impliziert «Los-lassen» von alten überlebten Strukturen, Formen und Routinen. Erst dann können Innovationen entstehen, können vorausdenkende Start-up-Kulturen mit vernetzenden Teams erblühen, zur gesellschaftlichen Wertschöpfung beitragen und nachhal(l)tig wirken.

2. Die Corona-Krise erzeugt eine New-Work-Kultur, deren Praktiker*innen das Wesentliche adressieren.

Warum tun wir, was wir tun? Weil es wesentlich für uns ist. Das Coronavirus zeigt uns, dass wir «die Alten» und damit die Silver Society schützen wollen. Der Rückzug ins Private wirft uns auf uns selbst und die Sinnfrage zurück. Woher kommen und wohin gehen wir? Nachhaltigkeit (Neo-Ökologie) und Wir-Kultur werden zu wichtigen Werten, weil wir mehr denn je verstehen, dass wir sterbliche Wesen und letztlich auch nur Natur sind. Neue Formen der Nachbarschaftshilfe, das verstärkte Bekenntnis zu regionalen Erzeugnissen, Ansätze wie Sharing Economy, Social Business und Corporate Health spiegeln uns, dass Profitmaximierung und reines Leistungsstreben defizient geworden sind. Gefragt ist heute die gelungene Symbiose von Arbeit und Leben. Empathische Führungsintelligenz nennen es die einen, Spiritual Leadership die anderen. Im Kern geht es um Wesentliches: die einst aufgesetzten «Ego-Masken» fallen zu lassen, Menschen achtsam zu führen und für das Warum hinter dem Offensichtlichen zu begeistern. Dies erzeugt und erfordert eine Kultur der Offenheit, um neue Freiräume auszuloten, in denen Kreativität, Experimentierfreude und Innovationen gedeihen können. Kommunikations-, Netzwerk- oder Kollaborationskompetenzen, gepaart mit empathischer Motivation, spiritueller Intuition und emotionaler Intelligenz, gehören zu den transformationsstarken Kulturtechniken und Leadership-Skills einer bewusstseinswandelnden New-Work-Kultur. Vorreiterinnen und Vorbilder sind die Frauen, die – im Übrigen nicht erst seit heute – in der Care-Arbeit, also in der Pflege, federführend sind. In Zeiten von Corona halten sie das System an vorderster Front, an den Kassen im Supermarkt, aufrecht. Sie ermöglichen den Zugang zum Wesentlichen, den Nahrungsmitteln, damit wir weiterleben können. Corona wird den Female Shift exponentiell weiter mit dem Womanomics-Virus infizieren und den Diskurs über Gender Diversity und Female Leadership ankurbeln. Denn die faire Integration und Entlöhnung von Frauen in den Führungsriegen von Wirtschaft, Gesundheit, Politik und Gesellschaft ist wesentlich.

3. Die Corona-Krise bereitet den Humus für New-Work-Praktiken, die sich permanent wandeln.

Wie tun wir, was wir tun? Die Corona-Krise macht es sichtbar: Was, warum und wie wir arbeiten, wird im Sekundentakt neu verhandelt. Bergmanns kühnen Worten zur neuen Arbeit folgen jetzt konkrete Taten. Co-Working und Coopetition verschmelzen zum dynamischen Co-Making von einstigen Konkurrenten, die jetzt ihre Kräfte bündeln (müssen), anstatt den alten Kampf um kluge und kreative Fachkräfte fortzuführen. Unkonventionelle Kollaborationsformen, die vor wenigen Monaten nicht denkbar gewesen wären, sind heute Realität. Talentismus ist das Zauberwort für die neue ökonomische und soziale Währung und gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung. Wirtschafts- und Kultursysteme müssen sich den Talentstrukturen anpassen, nicht umgekehrt. Das zeigt sich auch in der Maker-Szene. Getreu dem Motto «Do it yourself» und «Help yourself» lautet deren «How to»-Parole: Nicht lange warten, sofort anfangen und schauen, wie es läuft. Darin werden wir jetzt alle geschult, ob wir wollen oder nicht. Smart Work ist die Devise, um gemeinschaftlich der Corona-Krise zu trotzen. #staythefuckhome und #alonetogether im Smart Home Office oder #smarthomeschooling sind jene Praktiken, die jetzt Leben retten. Flexible Arbeitsmodelle wie Work-Life-Blending (kluge Verbindung von Berufs- und Privatleben) und Home Office allein kreieren zwar noch keine neue Arbeitswelt, legen aber den Samen für den Wandel, denn Smart Work bleibt auch nach der Krise ein Gebot. Doch wer entscheidet letztlich über Qualität und #howtohomeoffice? Die Experten oder vermeintlich minderbemittelte neue Influencer? Von wem wollen wir was lernen und warum? Ob #homeschooling zu #unschooling mutiert, #homestudying und #distancelearning zum neuen Standard werden, wird sich zeigen. Fest steht: Alle werden sich gleichermassen im ökonomischen Kampf um Aufmerksamkeit wie auch im kreativen Spiel und in der Freude am lebenslangen Lernen beweisen und wandeln müssen, und das permanent. Wichtig bleibt die Zufriedenheit im Job – und damit auch die Produktivität und Wertschöpfung – durch eine Arbeit, die Sinn stiftet, mehr Spass und frei macht. So wie es Frithjof Bergmann gemeint hat.

Birgitta Borghoff ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW, freiberufliche Kreativunternehmerin und Coach. Am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft forscht und doziert sie im Bereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit. Borghoff engagiert sich insbesondere für Projekte mit diskursanalytischen Fragestellungen, zu Entrepreneurial Storytelling und Designthemen, agilem Selbstmanagement, Selbstmarketing und Networking.  www.birgittaborghoff.com

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